Abstract

Deckname: Chirgwin

Die Lebensgeschichte des 1923 in Wien als Sohn eines Bankiers geborenen Egon Berliners weist – wie viele jüdische Jugendliche seiner Generation in Österreich – frühzeitig Brüche und Zäsuren auf, die im politischen Klima der 1930er-Jahre bzw. dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich 1938 begründet liegen: die Erfahrung von zunehmender Gewalt und Antisemitismus im Alltag, verbunden mit einer oft überstürzten Flucht unter Zurücklassung der eigenen Familie, prägten deren weiteren Lebensweg.

Egon Berliner, der soziale Ausgrenzung, physische und psychische Gewalt im Wien der 1930er-Jahre erlebt hatte, entschied sich jedoch anders. Nach seiner Flucht nach England und der Internierung als „enemy alien“ fasste Berliner den Entschluss, in die britische Armee einzutreten und sich dem Kampf gegen das nationalsozialistische Deutsche Reich anzuschließen. Später von der Special Operations Executive (SOE) rekrutiert, sollte er den Widerstand in „Österreich“ unterstützen. Im März 1945 von der Gestapo aufgegriffen, wurde er Anfang April in der SS-Kaserne Graz-Wetzelsdorf – der heutigen Belgierkaserne – im Zuge eines der größten Endphaseverbrechen im österreichischen Raum ermordet.

Das Projektvorhaben widmet sich mithilfe neu entdeckter Quellen diesem transgressiven Lebenslauf, analysiert dessen transnationale Netzwerke, Referenzrahmen und Handlungsspielräume, wie auch die unterschiedlichen Identitätsfiguren, die sein Leben prägten und beleuchtet so das Schicksal eines vergessenen Opfers des NS-Regimes. Das Projekt thematisiert aber auch den Ort seines Todes und widmet sich der Betrachtung von Erinnerungsdiskursen rund um Gedächtnisorte in einer noch heute genutzten militärischen Liegenschaft des Österreichischen Bundesheeres.

FOTO: www.bundesheer.at; neuer Gedächtnishain in der Belgier-Kaserne