Der im Französischen geprägte Ausdruck Histoire Croisée beschreibt eine Begegnung historischer Akteure oder Kreuzung historischer Prozesse, die bei allen Beteiligten dauerhafte Spuren hinterlässt. Die Nationalgeschichten Mexikos und Österreichs lassen sich mit diesem Begriff gut fassen. Obwohl die Staatswerdungen der beiden Länder weit voneinander entfernt stattfanden, sind sie doch reich an folgenschweren Berührungspunkten. Diese waren einerseits zwischenstaatlicher Natur, wie die französische Intervention mit Maximilian von Habsburg als Kaiser Mexikos in den 1860er Jahren oder die antifaschistische Solidarität Mexikos ab 1938; andererseits gab es Begegnungen unterhalb der Staatsebene, auf den Ebenen von Kunst und Wissenschaft, sozialen Reformen oder im Zuge individueller Lebensgeschichten.
Der Zukunftsfonds fördert zwei Forschungsunternehmen, die sich dieser Geschichte widmen. Dabei handelt es sich einerseits um die Biographie von Friedrich Katz, aus Wien stammend, in Mexiko berühmt und in Österreich fast unbekannt. Geboren 1927 in Wien als Sohn jüdischer Kommunisten, gelangte Katz 1940 als einer von 1500 österreichischen Exilanten nach Mexiko, wo er bis 1949 lebte. Nach seiner Rückkehr widmete er sich zuerst in Wien und dann in Ostberlin der mexikanischen Geschichte, ehe er an der University of Chicago zu einem der führenden Experten für die Mexikanische Revolution wurde. Anhand seiner Biographie, aber auch der Geschichte seiner Familie, lassen sich die großen Themen des 20. Jahrhunderts verstehen: die mächtigen ideologischen Konflikte in ihrer internationalen Dimension, Antisemitismus und Holocaust sowie die Bruchlinien Ost-West und Nord-Süd als Determinanten der Weltpolitik.
In gewisser Weise ist Katz also auch Protagonist des zweiten Projektes, das heute vorgestellt wird: Mexikoplatz Reloaded. Dieses verleiht dem bevorstehenden österreichischen Gedenkjahr 2018 eine globalgeschichtliche Dimension. Der Mexikoplatz in Wien verdankt seinen Namen der Erinnerung an den Protest gegen die Annexion Österreichs durch das Deutsche Reich, den Mexiko im März 1938 als einziges Land vor dem Völkerbund erhob. Ausgehend davon stellen wir die Frage: Was hieß es 1942 für eine österreichische Emigrantin, von Mexiko aus nach Europa zu blicken? Ihr Land in Krieg und Diktatur gefangen, Familie und Freunde Verfolgung und Vernichtung preisgegeben und die Möglichkeit der eigenen Rückkehr fraglich. Wie lässt sich diese Erfahrung ins Heute übersetzen und vermitteln? Um eine solche Aktualisierung von Erinnerung geht es dem Projekt. Gemeinsam arbeiten Historiker und Künstler über verschiedene Schichten der Erinnerung – das Rote Wien der Zwischenkriegszeit; Vertreibung, Exil und Remigration nach 1945; die Ankunft von Gastarbeitern in den 1960er und die Einwanderung sowjetischer Juden in den 1980er Jahren – bis herauf zu aktuellen Asyldebatten.