Abstract


Der Kunsthandel in Österreich während der NS-Zeit und seine Rolle im nationalsozialistischen Kunstraub


Der „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland bedeutete auch für den Wiener Kunst- und Antiquitätenhandel eine massive Zäsur. Ziel des Forschungsprojektes war es, die gewaltsamen Enteignungs- und Umverteilungsvorgänge in dieser Branche zu dokumentieren und zu analysieren. Es wurde zunächst versucht, die Betriebe, die sich im März 1938 in jüdischem Besitz befunden hatten, zu erfassen und die weiteren Ereignisse nach dem „Anschluss“ nachzuzeichnen. Dabei wurde dem Schicksal der verfolgten Eigentümerinnen und Eigentümer ebenso nachgegangen wie den Biographien der involvierten kommissarischen Verwalter, „Ariseure“ und Abwickler. Beleuchtet wurden aber auch die Aktivitäten von während der NS-Zeit in Wien tätigen Kunst- und Antiquitätenhändlern, die nicht direkt in die „Arisierung“ und Liquidierung von Betrieben involviert gewesen sind. Im Zuge der Recherchen wurde klar, in welchem Ausmaß die gesamte Branche von den Enteignungsmaßnahmen profitiert hat. Händlerinnen und Händler gelangten zu Schleuderpreisen in den Besitz von Kunst- und Kulturgütern, die die jüdische Bevölkerung unter dem Druck der Verfolgung weit unter dem tatsächlichen Wert veräußern musste, um die Flucht finanzieren und diskriminierende Steuern wie die Reichsfluchtsteuer oder die „Judenvermögensabgabe“ (JUVA) bestreiten zu können. Die Zwangslage der Betroffenen war den Käufern sehr wohl bewusst und wurde bei der Festsetzung der Preise meist skrupellos ausgenutzt.

Teile der heimischen Bevölkerung hatten sich in der Pogromstimmung der ersten Wochen nach dem „Anschluss“ ohne Legitimierung durch das neue Regime bei Wohnungsplünderungen Wertgegenstände angeeignet, von denen viele zweifellos ebenfalls in den Kunsthandel gelangt sind. Viele Vertreterinnen und Vertreter der Kunsthandelsbranche waren direkt in die „Arisierungs“- und Enteignungsmaßnahmen eingebunden, sie belieferten Museen mit entzogenem Gut und kooperierten direkt mit dem NS-Regime, in dem sie die „Sonderbeauftragten“ für den Aufbau des geplanten „Führermuseums“ in Linz, Hans Posse und Hermann Voss, sowie deren Agenten belieferten. Viele von ihnen bewerteten als Schätzmeister und Experten jüdische Sammlungen, sei es im Auftrag der Vermögensverkehrsstelle (der zentralen „Arisierungsbehörde“) oder des staatlichem Dorotheums, das durch das Geschäft mit entzogenem Kunst- und Kulturgut während der NS-Zeit zum führenden Kunstauktionshaus im deutschsprachigen Raum aufstieg. Nicht selten kam es vor, dass Händerinnen und Händler von ihnen geschätzte Objekte später selbst günstig erwarben.

Ein wesentlicher Teil der Warenbestände der in jüdischem Eigentum befindlichen Betriebe wurde bereits in den ersten Monaten nach dem „Anschluss“ von selbsternannten kommissarischen Verwaltern enteignet, die sich auf diese Weise zum Teil massiv persönlich bereicherten. Die Bemühungen des NS-Staates, die Kontrolle über die „Entjudungsmaßnahmen“ und damit über die Vermögenswerte an sich zu reißen, waren auch in der Kunsthandelsbranche nur bedingt erfolgreich. Zum Teil lässt sich gerade für diesen Bereich massive Korruption nachweisen. Das Beispiel der „Arisierung“ der Bilderhandlung Hugo Arnots durch Karl Moser-Moosburg zeigt, dass es den „Ariseuren“ nicht immer primär um die Warenbestände, sondern oft auch um den günstigen Geschäftsstandort – in diesem Fall im Hotel Bristol – und die damit verbundenen Mietrechte gegangen ist.

In etlichen Fällen lassen sich für die Zeit nach dem „Anschluss“ erstaunliche Karrieresprünge beobachten. Einigen Personen, die bis dahin als Altwarenhändler, Trödler oder Möbeltischler tätig gewesen waren, gelang binnen kurzem der Aufstieg in die gehobene Kunsthandels- und Antiquitätenbranche. Im Juni 1938 wurde das Reichskulturkammergesetz auf Österreich ausgedehnt und eine Landesleitung der Reichskammer der bildenden Künste eingerichtet, die auch für den gesamten Kunsthandel zuständig war. Der Aktenbestand der Reichskammer, der eine zentrale Quelle für dieses Forschungsprojekt dargestellt hätte, ist vermutlich nicht erhalten – nochmalige Nachforschungen blieben ergebnislos. Somit konnte nur versucht werden, die Lebensläufe der wichtigsten Akteure zu rekonstruieren und die Rolle der Reichskammer über vereinzelte Dokumente in anderen Beständen zu beleuchten – die Ergebnisse bleiben zwangsläufig lückenhaft. Unauffindbar blieben auch die Akten der so genannten „Kunstkommission“ innerhalb der Vermögensverkehrsstelle, die bei den Enteignungsvorgängen in dieser Branche ein gewichtiges Wort mitzureden hatte.

Die Mitgliedschaft in der Reichskammer der bildenden Künste war unabdingbare Voraussetzung, um als Kunst- oder Antiquitätenhändler / -händlerin tätig sein zu können. Mit dem Beitritt war man „Teil des Systems“ geworden. Aus diesem Grund und angesichts der Tatsache, dass die Händlerinnen und Händler unter Wettbewerbsdruck auf einem Markt agierten, der von Objekten aus jüdischem Besitz überschwemmt war, stellt sich die Frage nach den Handlungsspielräumen. Diese waren, wollte man den Beruf weiter ausüben, ohne Zweifel eingeschränkt, wenngleich das individuelle Ausmaß der Involvierung höchst unterschiedlich war. Bemerkenswert ist jedoch, dass ein Unrechtsbewusstsein durchwegs auch nach dem Krieg fehlte. Kaum jemand aus den Reihen der Händlerinnen und Händler deutete auch nur an, sich jemals in einem Gewissenskonflikt befunden zu haben.

Die meisten Profiteure der Enteignungsvorgänge kamen nach Ende des Krieges ungeschoren davon. Es war gang und gäbe, dass Personen, die während der NS-Zeit in ständigem Kontakt mit den Händlerinnen und Händlern gestanden oder sogar Geschäfte mit ihnen abgewickelt hatten, nach dem Krieg als Entlastungszeugen und Gutachter auftraten. Das Ausmaß dieser Seilschaften, in die Branchenkollegen, Museumsleute sowie Vertreter der Kulturbürokratie und aller politischen Parteien verstrickt gewesen sind, führt vor Augen, wie lückenhaft nicht nur die strafrechtliche, sondern vor allem auch die gesellschaftspolitische Aufarbeitung des NS-Regimes nach dem Krieg gewesen ist.

Die verschlungenen Wege, die Kunstwerke durch wiederholte An- und Verkäufe, Versteigerungen über das Dorotheum oder auch Tauschgeschäfte oft gegangen sind, stellen die Provenienzforschung bis heute vor zum Teil unüberwindbare Schwierigkeiten. Nur in seltenen Fällen standen nach dem Krieg die Geschäftsunterlagen der einzelnen Betriebe zur Verfügung. Vor allem fehlten fast immer jene Unterlagen, die Aufschluss über konkrete An- und Verkäufe gegeben hätten. Ein klares Signal der Branche, sich mit den Verstrickungen in der NS-Zeit kritisch auseinandersetzen zu wollen, fehlt bedauerlicherweise bis heute.

Kritisch sei angemerkt, dass sich das mediale und öffentliche Interesse in den letzten Jahren fast ausschließlich auf die Werke bekannter Künstlerinnen und Künstler und die bei der Versteigerung solcher Kunstobjekte erzielten Summen konzentriert haben. Verstellt wurde damit der Blick auf den Umfang des enteigneten mobilen Vermögens. Ein großer Teil davon befindet sich heute ohne Zweifel in privatem Besitz.

Dr. Gabriele Anderl

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ProjektleiterIn
Anderl Gabriele Dr.
Projekttitel
Der Kunsthandel in Österreich während der NS-Zeit und seine Rolle im nationalsozialistischen Kunstraub

Art trade in Austria under the Nazi regime and its role in art looting
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