Abstract


Enteignung vor der „Arisierung“


„Beschlagnahmungen“ und „Einziehungen“ des Vermögens jüdischer Familien in Österreich vom März bis November 1938 durch NSDAP, Gestapo und SD

Der Bereich der im Frühjahr/ Sommer 1938 in Österreich von Angehörigen und Mitläufern nationalsozialistischer Organisationen und/oder der Exekutive vorgenommenen „Beschlagnahmungen“ bzw. „Einziehungen“ wurde bisher von der historischen Forschung nur unzulänglich behandelt. Das Wissen um Enteignungen vor der „Arisierung“ ist wohl auch deshalb nicht stark ausgeprägt, weil diese Vorgangsweise ein österreichisches Spezifikum darstellte, das in dieser ausgeprägten Form im „Altreich“ nicht auftrat. Das vorliegende Forschungsprojekt rekonstruiert die unterschiedlichen Strategien nationalsozialistischer Funktionäre, die massiven entschädigungslosen Enteignungen nach dem „Anschluss“ zu verwalten und nachträglich zu legalisieren. Die Frage, ob diese Enteignungen eine rechtliche Deckung durch bestehende Gesetze des „Dritten Reiches“ hatten, wie auch das Problem, wer die Nutznießer dieser Konfiskationen sein sollten, führte zu langen Kontroversen und Konflikten zwischen verschiedenen Staats- und NS-Instanzen. Befasst waren die höchsten Stellen des NS-Staates bis hinauf zur Reichskanzlei und zu Adolf Hitler. Die Debatten rankten sich dabei nicht um lokale Querelen, sondern es ging neben Verteilungskonflikten wie der Entstehung des „Führervorbehalts“ auch um grundsätzliche rechtsstaatliche Normen: Besitzänderungen ohne rechtliche Grundlage waren und sind juristisch als „Diebstahl“ oder „Raub“ zu bezeichnen; die Nationalsozialisten waren sowohl nach innen als auch nach außen darauf bedacht, den Anschein von Rechtsstaatlichkeit aufrecht zu erhalten. Obwohl der SS- und Polizeiapparat vom Reichsinnenministerium bereits am 27. April 1938 darauf hingewiesen worden war, dass Gestapo und SD im Land Österreich zwar „Beschlagnahmen“ im Sinne von Sicherstellungen durchführen könne, aber „Einziehungen“ rechtlich nicht gedeckt waren, stellten Polizeileitstellen und Gestapo Einziehungsverfügungen von Liegenschaften und anderen Vermögensbestandteilen jüdischer Besitzer aus. Vor allem ab Juni 1938 wurden in Hunderten Fällen Eigentum von Juden und Jüdinnen durch „Einziehungen“ konfisziert und das Eigentumsrecht beispielsweise in Grundbüchern dem Land Österreich, dem Deutschen Reich oder diversen Parteigliederungen übertragen.

Nicht nur die von Parteiangehörigen und Mitläufern bei „Hausdurchsuchungen“ und ähnlichen Anlässen vollzogenen Enteignungen, sondern auch die von der Gestapo und dem SD Mitte 1938 verfügten „Einziehungen“ des Privatvermögens jüdischer Familien entbehrten gesetzlicher Deckung, die erst durch die „Verordnung über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens im Lande Österreich“ vom 18. November 1938 (GBlÖ 589/1938) durch den Reichsstatthalter in Österreich nachgeliefert wurde.

Im Rahmen dieses Projekts war es nicht möglich, eine Gesamterfassung aller in den verschiedenen Archivbeständen vorhandenen Informationen über hunderte Einziehungsvorgänge vorzunehmen, Verknüpfungen der Einzelangaben durchzuführen und eine Gesamtsumme der konfiszierten Werte zu bestimmen. Diese Aufgabe, die nur mit Hilfe einer Datenbank bewältigt werden kann, muss zukünftigen Forschungsprojekten vorbehalten bleiben.

Univ.-Doz. Dr. Hans Safrian

Projekt-ID
ProjektleiterIn
Safrian Hans Univ.-Prof.Dr. - Verein f. d. Erforschung v. Geschichte u. Ges.d. 20. Jahrhunderts
Projekttitel
Enteignung vor der 'Arisierung'

Expropriation before 'Aryanization'
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