Die neuere Literatur fokussiert auf die These eines komplexen Zusammenhangs zwischen Nationalsozialismus und Modernismus. Roger Griffin etwa spricht vom Topos eines „Neubeginns“ im faschistischen Selbstverständnis. Die Siedlungs- und Infrastrukturplanungen des „Dritten Reiches“, getrieben von einem genuinen rassistischen und biopolitischen Dezisionismus, nahmen - so Griffin - grundlegende Elemente der Nachkriegskonzepte ökonomischer und sozialer Regulation vorweg. Mit dieser These sind drei Forschungsdimensionen verbunden:
Standen bislang in der Forschung zum Nationalsozialismus in Wien die spektakulären Monumentalbauten im Zentrum, die mit dem zynischen Kalkül der Zerstörung des jüdischen Wien den 2. Bezirks nach den Richtlinien der „Führerstädte“ in ein Gauforum umgestalten sollten, so setzte sich das Zukunftsfonds-Projekt „Grossraum Wien“ mit dem vielschichtigen Planungsgeschehen auseinander, das der Stadt eine zentrale Funktion in einer regionalen Ökonomie sichern sollte.
Gemäß der „Theorie der zentralen Orte“ sollte Wien jene Infrastruktur erhalten, die zur ökonomischen und politischen Durchdringung des südosteuropäischen Wirtschaftsraumes notwendig war. Erstmals in der Stadtgeschichte wurde dafür ein sogenanntes „Leitbild“ entwickelt, dessen Konturen sich wie folgt umreißen lassen:
Dem entsprach die Großgliederung des Raumes in vier Zonen: ein donaunahes Industriegebiet, ein Siedlungsgebiet entlang der Süd- und der Westbahnstrecke, die Bildung reiner Agrargemeinden zur Nahversorgung, und die Konservierung des Stadtzentrums als kommerzielles und kulturelles Rückgrat der Handelsstadt. In dieser Matrix sollte eine integrierte Infrastruktur neuer Bahnlinien, Autobahntrassen, Flughäfen und Energieversorger entstehen, die sich der neuen Idee der „Stadtlandschaft“ verpflichtete.
Die Nationalsozialisten haben das Schlagwort vom „Hamburg des Südostens“ nicht erfunden. Es stammte vom renommierten Wirtschaftsjournalisten Gustav Stolpers von Anfang der 1920er Jahre. Allerdings entwickelten die Nationalsozialisten eine zuvor nicht gekannte administrative und diskursive Energie, aus der heraus sich mit scheinbarer Evidenz ein gesamtgesellschaftliches Großprojekt ableiten ließ: die Reorganisation des Stadtraumes und die biopolitische Steuerung entlang einer dominanten ökonomischen Funktion. Dies bedeutete im Sinne Griffits einen „Anfang“ zu setzen, der so radikal erschien, dass seine „Kosten“ aus dem kollektiven Gedächtnis ausgespart werden konnten. Während die monumentalen Repräsentationsbauten des Regimes unmittelbar nach dessen Ende distanziert und als zeichenhafter Träger eines Bruchs perhorresziert werden konnten, bildete das technokratisch-modernistische Leitbild der NS-Zeit für Wien ein in Variationen wiederkehrendes, von seinen Ursprüngen abgespaltenes Entwicklungsziel.