Abstract


"MAN BEWILLIGTE UNS SOGAR EINIGE SPIELE"


Nach dem »Anschluss« Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland wurde im Jänner 1939 auf Druck des NS-Regimes die Zweigstelle Wien des Jüdischen Kulturbund Deutschlands eingerichtet, zu deren Aufgaben es gehörte, zumindest ein gewisses kulturelles Leben zuzulassen.

Von 1933 bis Ende 1938 war der Jüdische Kulturbund Deutschland in deutschen Städten sehr aktiv, um den jüdischen Künstler*innen Engagements zu ermöglichen, und um dem Publikum Veranstaltungen bieten zu können. Es gab Theater, Konzerte, Kabaretts, Vorträge und Filmabende. Ende 1938 wurden die Kulturbundtätigkeiten v.a. auf Berlin beschränkt. In dieser Situation musste die Zweigstelle Wien ihre Funktionen aufnehmen. Wiener jüdische Künstler*innen setzten sich für die Gründung eines Theaters, eines Kinos bzw. eines Orchesters ein, bekamen allerdings keine Erlaubnis. Wichtig war vor allem die Herausgabe des Jüdischen Nachrichtenblattes als Informationsorgan für die antisemitische Gesetzgebung und Auswanderung. Erst ab Sommer/Herbst 1940 veranstaltete die Wiener Zweigstelle musikalische Nachmittage. Weiters wurden etwa von der Aktion Gildemeester Kabarettprogramme und Konzerte geboten, letzterer mit Musikern der Wiener Philharmoniker. In den wenigen Quellen zu diesen Veranstaltungen wird klar, wie sehr vor allem die jungen Jüdinnen und Juden die Möglichkeit schätzten, künstlerische Programme rezipieren zu können und sich zu treffen. In den Konzentrationslagern Mauthausen und Gusen sowie den Außenlagern waren die musikalischen und theatralen Aktivitäten zwischen Zwang, dem Bedürfnis nach der Darstellung eigener Identität/en und Ablenkung angesiedelt. Bekannt sind die Kapellen und Orchester, die in Mauthausen und Gusen gegründet wurden und etwa auch zu Hinrichtungen aufspielen mussten. Es wurden aber auch Operetten aufgeführt, etwa Die lustige Witwe zu Weihnachten und Silvester 1943 in Mauthausen, oder ein Kabarettprogramm 1944 in Gusen. Diesen künstlerischen Veranstaltungen, die teils genehmigt waren oder gefordert wurden, teils halb-legal oder im Verbotenen entstanden, wird in dieser Arbeit nachgegangen. Das Problem an dieser Fragestellung ist die Quellenlage, die besonders in deutscher Sprache schwer fassbar ist.

Aufgrund vieler Erfahrungen mit Studierenden wird in diesem Buch auch auf die Grundlagen und Kontexte dieser künstlerischen Tätigkeiten eingegangen. So wird versucht, ein Bild der Bedrohungen der Jüdinnen und Juden in Wien (durch Deportationen, Armut) wieder zu geben, bzw. den „Alltag“ in Konzentrations- bzw. im Vernichtungslager Mauthausen darzustellen und was es bedeutet, innerhalb einer totalitären Gesellschaft bzw. in lebensgefährlichen Situationen kulturelle Aktivitäten auszuführen. Die Ambivalenz zwischen dem verbrecherischen, menschenverachtenden Regime einerseits und dem Bedarf nach Kunst, Kultur und Musik andererseits wird ferner thematisiert.

Brigitte Dalinger, Autorin

Projekt-ID
ProjektleiterIn
Dalinger Brigitte Mag.Dr. - Institut für Theater-, Film und Medienwissenschaft der Universität Wien
Projekttitel
Theater unter NS-Herrschaft in Österreich: Theater der Macht und der Ohnmacht (Publikation)

Theatre under the NS regime in Austria: Theatre of Power and Theatre of the Repressed (publication)
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